Von P. K. Sczepanek


(1) Objektive Unterscheidungsmerkmale einer Minderheit im völkerrechtlichen Sinne



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(1) Objektive Unterscheidungsmerkmale einer Minderheit im völkerrechtlichen Sinne


Objektive Unterscheidungskriterien einer als „Minderheit“ zu bestimmenden Personengruppe sind neben der nummerischen Inferiorität

  • individuelle objektive Merkmale (a),

  • die machtmäßige Unterlegenheit (b),

  • die Staatsangehörigkeit des Wohnsitzstaates (c),

  • Stabilität (d).

Nach einem weiteren Kriterium muss die Entstehung der Minderheit auf einen territorialbezogenen Akt des Völkerrechts (e) zurückzuführen sein. Diese objektiven Kriterien müssen kumulativ vorliegen.39

(a) Individuelle objektive Unterscheidungsmerkmale

(aa) Allgemein


Als erste Voraussetzung für eine spezielle Behandlung einer Bevölkerungsgruppe müssen ihr Merkmale anhaften, die sie vom Rest der Bevölkerung unterscheidet.

Traditionell müssen im Völkerrecht Mitglieder einer Gruppe, die den Minderheitenstatus anstrebten, vor allem religiöse, sprachliche oder ethnische Eigenschaften aufweisen, durch die sie sich vom Rest der Bevölkerung abgrenzen40. Diese Abgrenzungskriterien werden mittlerweile als Unterscheidungsmerkmale einer Minderheit allgemein akzeptiert, ohne dass diese Aufzählung ein für allemal abschließend sein muss. Die Unterschiedlichkeit muss nicht alle Lebensbereiche erfassen.41 Es reicht vielmehr aus, dass sich die Minderheit in einem Aspekt von der Mehrheit unterscheidet. Diese Unterscheidbarkeit in einem Lebensbereich stellt dann das wesentliche Kriterium der Minderheit dar.


(bb) Religiöses Unterscheidungsmerkmal


Zu einer religiösen Minderheit gehören diejenigen Personen, die sich wegen ihres religiösen Bekenntnisses von der Mehrheit unterscheiden, wobei theistische, nicht-theistische und atheistische Überzeugungen eine Rolle spielen können.42 Eine religiöse Minderheit sind weder die Polen in Deutschland noch Deutsche in Polen, da beide Völker mehrheitlich christlichen Glaubens sind.

(cc) Sprachliches Unterscheidungsmerkmal


Eine sprachliche Minderheit ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich in der Öffentlichkeit sowie im privaten Gebrauch einer Sprache bedient, die nicht von der Mehrheit der Bevölkerung gesprochen wird und damit in der Regel auch nicht die Nationalsprache ist.43 Insoweit könnten die Deutschen in Polen eine Minderheit sein, wenn sie als Muttersprache Deutsch sprechen; in der Regel sprechen sie allerdings Polnisch. Die vor einem Jahrhundert oder früher nach Deutschland eingewanderten Polen sind integriert und sprechen nicht mehr die polnische Sprache. Wenn eine vor kurzem eingewanderte polnische Familie zu Hause des besseren Verständnisses wegen Polnisch spricht, wird sie damit noch nicht zu einer Minderheit.

(dd) Ethnisches Unterscheidungsmerkmal


Unterscheidungsmerkmale wie Abstammung, Geschichte und Kultur, aber auch Rasse, Kasten- und Stammeszugehörigkeit bestimmen das Unterscheidungsmerkmal der ethnischen, also volksmäßigen oder volkseigentümlichen, Herkunft.44 Meist sind die sich ethnisch abhebenden Bevölkerungsteile in Folge lange zurückliegender Wanderbewegungen entstanden.45 Der Begriff ethnisch hat daher vor allem historische und kulturelle Bezüge.46 Auch die religiöse und sprachliche Minderheit könnte unter die ethnische subsumiert werden, bedeutet doch ethnisch „volkseigentümlich“. Insoweit unterscheiden sich Deutsche und Polen.

(ee) Weitere Minderheitenarten


Die rassische Minderheit stellt eine Unterkategorie der ethnischen Minderheit dar. Die Definition der Rasse ist zwar enger gefasst als die der Ethnie, jedoch in dieser enthalten, so dass eine rassische Minderheit zwangsläufig eine ethnische ist. Auch die kulturelle Minderheit, deren spezifische Besonderheit eine von der Mehrheit unterschiedliche Kultur ist, ist ebenfalls nur eine Untergruppe, entweder der Kategorie der sprachlichen oder der ethnischen Minderheit.47

(b) Die machtmäßige Unterlegenheit der Minderheit


Ferner darf sich die als Minderheit zu qualifizierende Personengruppe nicht in einer dominierenden Rolle befinden, da sie in diesem Falle nicht besonders schutzwürdig wäre.48 Unter den Begriff einer Minderheit fallen also nicht diejenigen Volksgruppen, die trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit die Macht im Staate ausüben.49

(c) Die Staatsangehörigkeit als ungeschriebenes objektives Begriffsmerkmal


Die Frage, ob eine auf einem bestimmten Gebiet lebende Volksgruppe die Staatsangehörigkeit des Wohnsitzstaates haben muss, ist immer wieder kontrovers diskutiert worden50.

Teilweise wird vertreten, gerade aus dem Wortlaut des Artikel 27 IPbpR51 müsse abgeleitet werden, dass der dort vorgesehene Schutz der Minderheiten auch den Schutz fremder Staatsangehöriger im Inland umfasse.52 So gehören nach dieser Auffassung zu den Minderheiten nicht nur Personen, die die Staatsangehörigkeit ihres Wohnsitzstaates haben, sondern auch ausländische Staatsangehörige, vor allem ausländische Arbeitnehmer, die sich aus welchem Grund auch immer im Staatsgebiet aufhalten53. Dafür würde die Interpretation des Art. 27 IPbpR im Gegensatz zu Art. 25 IPbpR sprechen. Die in Art. 25 IPbpR garantierten Rechte stünden ausdrücklich nur den Staatsbürgern des jeweiligen Mitgliedstaates zu, während sich diese Einschränkung in Art. 27 IPbpR nicht finde.54 Auch ließe sich der Regelung des Art. 2 IPbpR, wonach die im Pakt anerkannten Rechte allen im Gebiet des Vertragstaats befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied zu gewährleisten seien, entnehmen, dass der Pakt grundsätzlich alle im Staatsgebiet lebenden Personen ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit erfasse.55, –Auch die Entstehungsgeschichte könne dahin gehend gedeutet werden, Fremden den Minderheitenstatus einzuräumen, da Staatsangehörigkeit bewusst nicht als Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu einer Minderheit aufgeführt wurde. Damals wurde noch das Ziel der Verwirklichung einer multikulturellen Gesellschaft vertreten.56.

Ob Art. 27 IPbpR aber so zu interpretieren ist, ist zweifelhaft, zeigen doch die Ansichten der Staatenvertreter auf den Sitzungen, dass Art. 27 IPbpR nur diejenigen Personen erfassen sollte, die auch die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates besitzen. In der Ausschusssitzung wurde die Problematik der Begrifflichkeit erkannt und vorgeschlagen, die Ausdrücke “persons“ durch “citizens“ zu ersetzen.57 Gegen die Einbeziehung der Fremden sprechen ferner die zahlreichen weiteren im Rahmen der UNO erarbeiteten Definitionen, die alle die Staatsangehörigkeit der Mitglieder der Gruppe voraussetzen, ohne dass dieses Merkmal Gegenstand der Kritik gewesen wäre. Zudem widerspricht eine derart extensive Interpretation des Begriffs der Minderheit dem traditionellen Verständnis.58 Eine weite Auslegung führte schließlich zu einer nahezu völligen Zurückdrängung des völkerrechtlichen Fremdenrechts, aber auch zur Bedeutungslosigkeit des Minderheitenschutzes. Kaum ein Staat der Welt könnte die Anforderungen an einen effektiven Minderheitenschutz erfüllen, bedenkt man, dass allein in Deutschland Angehörige von über dreihundert Minderheiten, in der hessischen Kleinstadt Stadtallendorf zum Beispiel über 60 Minderheiten, leben, die dann diese besondere Förderung beanspruchen könnten. Es ist auch verständlich, dass der Staat Fremde nicht besser behandeln möchte – und das gerade fordert ein effektiver Minderheitenschutz – als seine eigenen Staatsangehörigen. Deshalb muss Art. 27 IPbpR restriktiv ausgelegt werden, so dass sich der Minderheitenschutz nur auf diejenigen Personen beschränkt, die auch tatsächlich die Staatsangehörigkeit des Staates besitzen, dessen Schutz sie verlangen.59

Außerhalb der Interpretation des Art. 27 IPbpR hat sich die Diskussion um den Begriff des Minderheitenschutzes dahin gehend entwickelt, dass die Staatsangehörigkeit ein wesentliches Kriterium für die Eigenschaft als Angehöriger einer Minderheit darstellt. Dies verdeutlicht auch der Deutsch-Polnische Nachbarschaftsvertrag, denn es heißt dort in Art. 20 Abs. 1 Satz 1: „Die Angehörigen der deutschen Minderheit in der Republik Polen, das heißt Personen polnischer Staatsangehörigkeit, die …“. Die Notwendigkeit des Besitzes der Staatsangehörigkeit des Wohnsitzstaates geht auch aus den verschiedenen Dokumenten hervor, die sich auf europäischer Ebene mit der Materie des Minderheitenschutzes befassen. So dokumentiert die Empfehlung 1177/1992 des Europarats60, dass die Garantie des Schutzes bestimmter kultureller, sprachlicher oder religiöser Eigenschaften an die Staatsbürgerschaft geknüpft wird.61 Auch das Rahmenübereinkommen vom 1. Februar 199562 setzt die Staatsangehörigkeit als Begriffsmerkmal voraus. Auch wenn dies nicht im Text des Übereinkommens zum Ausdruck kommt, kann doch aus dem Kontext der Regelungen und in Anbetracht des Art. 4 des Rahmenübereinkommens der Schluss gezogen werden, dass das Rahmenübereinkommen nur auf die Minderheiten anzuwenden ist, welche auch die Staatsangehörigkeit des Vertragsstaates besitzen.63 Die Bundesrepublik Deutschland hat jedenfalls bei der Ratifikation des Rahmenübereinkommens zum Schutze der nationalen Minderheiten den Vorbehalt geäußert, dass die Bestimmungen des Übereinkommen nur auf die in Deutschland traditionell lebenden Minderheiten der Dänen, Friesen, Sorben, Sinti und Roma64 Anwendung finden. Diese Erklärung wurde im Hinblick auf die vielen Millionen Gastarbeiter, Asylbewerber und Flüchtlinge in Deutschland abgegeben.

Demnach kann trotz der teilweise strittigen Betrachtungsweise der sich seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelten Merkmale des Minderheitenbegriffs als weiteres Kriterium das Vorliegen der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates gefordert werden.65 Dies gilt sowohl für den Begriff der Minderheit im Sinne des Art. 27 IPbpR als auch für die im sonstigen Völkerrecht notwendige Definition der Minderheit.66 Wird Angehörigen einer Gruppe in völkerrechtswidriger Weise67 die Staatsangehörigkeit entzogen, steht der Gruppe nach wie vor der völkerrechtliche Minderheitenstatus zu.

Deutsche in Polen haben in der Regel die polnische Staatsangehörigkeit, nicht jedoch die im Rahmen der Freizügigkeit nach Deutschland eingereisten Polen.




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