Von P. K. Sczepanek


Die Oberglogauer „Bande88“ / Aus dem Notizbuch seines ehemaligen Banditen“



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Die Oberglogauer „Bande88“ / Aus dem Notizbuch seines ehemaligen Banditen“

Es war Anno 1946. Das Städtchen Oberglogau O/S an dem Fluss Hotzenplotz wurde im polnischen Volksmund als „Klein-Berlin“ bezeichnet. Aus der westdeutschen Triozone kehrten einige Oberglogauer als „Repatrianten“ von ihrer Flucht zurück. Vielleicht auch deswegen, weil Hunger und Armut damals in der Triozone herrschte, in Polen dank der US-Hilfe eine gewisse wirtschaftliche Prosperität: wenn auch nur für kurze Zeit; bis Stalin die Annahme der US-Hälfte verbot. Auf dem Güterbahnhof formierte sich der letzte Aussiedlertransport, der direkt von Oberglogau gen Deutschland fuhr. Im Geburtshaus meines späteren Komponisten-Kollegen, Prof. Gerhard Strecke, resistierte der UB, die polnische Stasi.

Es gab aber einen gemischten deutsch-polnischen Fußball-Fan-Verein, der sich weiß Gott warum – „Bande 88“ schimpfte. Irgendein UB-er kam auf die Schnapsidee, dass ja der achte Buchstabe, das „H“ ist, ergo „HH“ – „Heil Hitler“. Sofort wurde die Miliz (MO) aus der gesamten Umgebung plus UB, nebst Hilfspolizei ORMO plus „Korps für innere Sicherheit“ (KBW) alarmiert. Für die Verantwortlichen war klar, hier hatte man es mit einem Gebräu aus jungen deutschen Ex-Landsern, HJ-lern, Pennälern und Wehrwölfen zu tun, mit Querverbindungen zur „polnischen Plutokratie“, sprich antikommunistischer Opposition.

Die Verhaftungswelle rollte an. Wessen man bei den Razzien habhaft werden konnte, der landete in der Milizkommandantur, die heute noch im Dienst ist. Es wurde geprügelt, gefoltert; einige mussten den eigenen Kot verzehren. Eine junge Bekannte wurde von einem Milizionär vergewaltigt. Der bekam später einen Prozess, der jedoch wie das Hornberger Schießen ausging. Die gellenden Schreie der Gepeinigten aus der Milizvilla hörte man in der ganzen City.

Als Rädelsführer hatte man sich meinen Nachbarn, den wegen seiner Schwerwerdung aus der Wehrmacht entlassenen (Kopfschuss mit Verlust des Kleingehirns) jungen Ex-Unteroffizier Heinrich Kubotsch auserkoren. Da ich, schon wegen seiner öfteren Ohnmachtsanfälle, oft bei ihm schließ, wenn sein Vater in einer der Mühlen Nachtschicht hatte, wusste ich, dass auch ich bald fällig war. Zumal ich bereits als sein „Adjutant“ gehandelt wurde. Ich tauchte für mehrere Wochen mit anderen „Banditen“ wieder Willen“ unter und zwar auf den Dachboden einer Tischlerei; wer- und entsorgt von einigen Frauen.

Zu dem hatte ich bereits mit einem langen Verhör im Komponisten-Haus mit dem UB als Chorknabe Bekanntschaft gemacht. Und war aufgefallen, dass ich an Treffen ehemaliger deutscher Oberschüler im heutigen Hotel SALVE mit zwei deutschen Studienrätinnen teilnahm, wo wir uns in englischer Konversation übten.

Ich habe später Heinrich gefragt, wie er denn dem UB die Mär vom eigenen Banden-U-Boot bei Repsch erzählen konnte, wo das Flüsschen stellenweise gerade mal 2,5 tief war. Die Antwort: „Da habe ich wenigstens kurze Folterpause gehabt.“ Dazu kam die Mär von eigenen Panzern.

Und so geschah´s, dass zwei sowjetische Panzer die zufällig durch die Stadt fuhren, und einer von ihnen die Zahl 88 trug, von zwei UB-ern gestoppt wurden. Die Tankisten sprangen heraus und verprügelten die Übereiferer nahezu krankenhausreif.

Massenweide und panikartig verließ primär die Jugend die Stadt. Entweder um nur auf dem Dorf unterzutauchen oder in Richtung naher tschechischer Grenze oder ganz nach Deutschland.

Die Spitze der „Bande 88“ wurde ins Zuchthaus in die Kreisstadt Neustadt deportiert und wartete anschließend auf einen Prozess, der aber nie stattfand. Danach wurden alle, teils für immer physisch oder psychisch oder beides gebrochene Menschen, entlassen. Die meisten fuhren nach Deutschland hinaus. Einer hat geschworen, nie wieder zurückzukehren. Einer hat nachher Karriere beim polnischen Arbeitsdienst SP gemacht. Paar Wochen davor wurden wir in unserem Versteck frühmorgens durch das Lied „In der Heimat, da gibt´s ein Wiedersehen“ geweckt, das vom Güterbahn wie ein Choral herüberklang. Der letzte Aussiedlerzug rollte gen Westen. Wir weinten: Da fuhren viele Kameradinnen und Kameraden hinaus. Darunter solche, die nie unsere Stadt verlassen wollten. Wär´s mir damals gelungen mich auf den strengbewachten Zug zu schmuggeln, wäre ich wohl mit großem Hass hausgefahren. Es ist gut so, dass dies mir nicht gelang. So habe ich erfahren, dass es auch gute Polen gab und gibt. Erzählte: Joachim Georg Görlich
PS. Der Autor wurde später aus dem Musikgymnasium Kattowitz wegen seiner Herkunft „ausgeschult“. Während des „Polnischen Oktobers“ 1956 bezeichnete er im Studentenorgan „Po prostu“, KP-Organ „Trybuna Opolska“ als Schmierblatt. Er wurde am 13.8.1958 vom Kreisgericht Oppeln verurteilt. Vom „Institut für Nationales Gedenken“ (IPN) (wie: „Gauck-Behörde“) wurde er als „Geschädigter“ des kommunistischen Regimes registriert.
Magister Joachim Georg Görlich, Publizist und Komponist, Ehrenbürger der Beethovenstadt Glogowek / Oberglogau, Träger der Europamedaille und der Goldene Ehrennadel des Deutschen Journalistenverbandes, erhielt kürzlich die Goldnadel der Gewerkschaft „Ver.di“. In der Deutsche Welle Köln war er stellvertretender Vorsitzender des Christlichen Gewerkschaftsbundes. Seine Chorwerke hört man oft in verschiedenen Pilgerorten in Schlesien. In seiner Wahlheimat Haan im Rheinland gehört es zur großen Seltenheit, dass man dort Görlichs Werke aufführt.

Aus seinem Wohnsitz Haan/Rhld. hat er uns am 2.09.2004 geschrienen:



... „mit 73 Jahren sollte man das tun, was einem Spaß macht und sich um seine Gesundheit kümmern, sagten mir in letzter Zeit mein Arzt, Bekannte und die Verwandtschaft. Und so habe ich mich entschlossen, nach 25 jähriger Tätigkeit an entscheidender Stelle des WAV – Westdeutscher Autorenverband e.V. Duesseldorf, mit dem heutigen Datum als Vorsitzender des WAV, meinen Hut nehmen und dem WAV Lebewohl zu sagen. All denen, die mich in den letzten Jahren mit Wohlwollen bedacht haben, spreche ich hiermit ein Gott vergelt´s aus“.

Und so haben wir die Möglichkeit, seine Nachkriegsgeheimnisse in Oberschlesien als kleine Enthüllung zu drucken.

Peter K. Sczepanek Monheim/Rhein 21.09.2004



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